Was man in Zeiten des Fachkräftemangel bedenken sollte…

Der lang angekündigte Fachkräftemangel ist immer weiter spürbar. Wie eine Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit im Juni herausfand, ist die Situation für einige Berufe und Gegenden schon mehr als angespannt. Das betrifft eine Reihe von Handwerksberufen, Berufen bei der Pflege – aber eben auch in der IT. So liegt die durchschnittliche Vakanzzeit einer Stelle im Bereich der Softwareentwicklung bei 144 Tagen.

Wie die obenstehende Grafik aus dem Bericht der Bundesagentur deutlich zeigt, kann man in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen bereits von einem bestehenden Engpass sprechen. In Hessen, Bremen, Hamburg, Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gibt es bereits deutliche Anzeichen für Engpässe.

Eine Vakanzzeit von 144 Tagen, wie sie die Bundesagentur für Entwickler ermittelt hat, wird auch für andere IT-Berufe gelten. Bei Heise.de berichtet ein IT-Leiter:

“Für einfache Bereiche Leute zu finden, geht ja noch”, schildert Kleinert die Lage. “Aber im IT-Bereich, etwa bei der Suche nach SAP-Experten, ist hier in Oberbayern ein regelrechter Kampf um die Köpfe entstanden. Je anspruchsvoller die Stelle, desto schwieriger ist es, jemand zu finden. Da nutzt auch viel Geld nichts.”

Wenn also geeignete Mitarbeiter für das eigene Unternehmen zu finden immer schwieriger bis gar unmöglich ist, ist es für den umsichtigen Team-Leiter unerlässlich seine Mitarbeiter zu halten. Allein die Zahl von 144 Tagen Vakanz macht deutlich, dass es bei Mitarbeiter mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten unmöglich ist, einen reibungslosen Übergang mit ausreichenden Know-How-Transfer zu organisieren. Und selbst wenn man Mitarbeiter mit Kündigungsfrist von 6 Monaten verliert, stellt dies eine große Herausforderung dar. Man sollte bedenken: egal, wie gut man die eigenen Prozesse und Lösungen dokumentiert sind: zuviel Wissen steckt dennoch nur in den Köpfen, dass dann von heute auf morgen einfach aus der Firma verschwindet. Außerdem ist in der IT das Geschäft häufig von Projekten bestimmt. Wenn der Weggang kurz vor einem kritischen Meilenstein im Projekt erfolgt, ist der Schaden noch größer als ohnehin schon. Die entstandene Lücke müssen außerdem die vorhandenen Mitarbeiter füllen, bis ein Ersatz gefunden worden ist. Je länger das jedoch dauert, desto mehr steigt die Belastung der verbliebenen Mitarbeitern und damit auch deren Frust. Wenn dann der zweite oder dritte Mitarbeiter frustriert die Segel streicht, kann das Thema eine gefährliche Eigendynamik entwickeln und es setzt eine Fluchtbewegung ein, die nur noch schwer aufzuhalten ist. Und in Zeiten der sozialen Medien sollte man auch bedenken, dass es sich solche Fluchtbewegungen und allgemeine Unzufriedenheit herum spricht. Auf der einen Seite wird man auf Netzwerkseiten wie XING oder LinkedIn von Kontakten befragt, wie es ist, in der Firma XY zu arbeiten, weil ein Freund sich für eine Stelle dort interessiert. Auf der anderen Seite gibt es auch offene Bewertungsportale wie kununu, wo man sich schnell einen Überblick verschaffen kann, wie Bewerber, aktuelle und Ex-Mitarbeiter die jeweilige Firma sehen. Wenn da der Leumund nicht gut ist, wird es schwer neue Mitarbeiter zu finden und es dauert noch länger bis bestehende Vakanzen mit geeigneten Kandidaten besetzt werden können. Das frustriert die verbliebenen Mitarbeiter noch mehr und schon ist man in einem Teufelskreis, aus dem man nur schwer ausbrechen kann.

Vor diesem Hintergrund kann es eigentlich nur ein Ziel geben: die Mitarbeiter nicht zu verlieren. Und das Bemühen hierzu muss schon sehr früh einsetzen. Die meisten Menschen kündigen nicht von heute auf morgen. Es ist ein langsamer Prozess und ein aufmerksamer Beobachter kann die Zeichen frühzeitig deuten. Meistens kündigen die Mitarbeiter, wenn sie schon eine neue Stelle in Aussicht haben und häufig ist es bis zu diesem Punkt ein weiter Weg. Wenn also der Mitarbeiter an der Bürotür klopft, um sein Kündigungsschreiben abzugeben, hat man als verantwortlicher Manager bereits das Spiel verloren. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Mitarbeiter schon alle Phasen auf den Weg zur Kündigung durchlaufen. Es fängt an mit den ersten Dingen, die einen stören. Diese summieren sich im Laufe der Zeit zu Frustration und Demotivation. Dann mündet das ganze in Resignation und schließlich in dem Entschluss, dass sich die eigene Situation ändern muss. Der Mitarbeiter führt Gespräche mit anderen Unternehmen und sobald sich ein für ihn interessantes Angebot ergibt, ist die Entscheidung gegen den aktuellen Arbeitgeber bereits gefallen. Insofern kann man sich häufig die Frage “Kann man Sie noch umstimmen?” sparen. Das soll nicht heißen, dass man nicht versuchen sollte, kündigungswillige Mitarbeiter noch zurück zu gewinnen. Aber es bedeutet weniger Aufwand und eine längerfristige Bindung an den Mitarbeiter, wenn man es erst gar nicht so weit kommen lässt. Und ist in meinen Augen auch erfolgversprechender…

Wie Brigette Haycinth in einem, wie ich finde, ausgezeichneten Blog-Artikel auf LinkedIn schreibt: Eine Umfrage in den USA hat gezeigt, dass 80% der Mitarbeiter, die freiwillig kündigen, diesen Schritt tun, weil sie mit ihrem Vorgesetzten unzufrieden sind und nicht mit dem Unternehmen. Das macht klar, dass man als Verantwortlicher es selber in der Hand hat, ob der Mitarbeiter bleibt oder nicht. Sie fasst auch zusammen, was die Mitarbeiter von Ihrem Arbeitsumfeld erwarten:

  • Respekt
  • Selbstständiges Arbeiten
  • Empathie
  • Würdigung der Leistung
  • Weiterentwicklung

Ein Vorgesetzter sollte deswegen immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte seiner Mitarbeiter haben. Und auch wenn einem die Kritik aus der subjektiven Sicht nicht gerechtfertigt ist, sollte man diese dennoch durchaus ernst nehmen. Denn auch wenn ein Kritikpunkt vielleicht nicht nachvollziehbar erscheint, sollte sich der weitsichtige Manager durchaus die Frage stellen, warum der Mitarbeiter eben diese Kritik äußert. Allein die Tatsache, dass mehrere Mitarbeiter die gleiche Kritik äußern, ist ein Hinweis, dass irgendetwas im Unternehmen nicht rund läuft. Und sei es nur in der Außendarstellung, so dass die Mitarbeiter vielleicht zu falschen Einschätzungen kommen. Verletzte Eitelkeit ist in einer solchen Situation fehl am Platze, sondern muss sollte sich ernsthaft mit dem Thema auseinander. Nur so bekommt, der Mitarbeiter das Gefühl, dass er mit seinen Anliegen ernst genommen wird.

Damit es überhaupt so weit kommt, dass man als Verantwortlicher Kenntnis von Kritikpunkten erhält, muss erst einmal grundlegend ein Klima geschaffen werden, indem die Mitarbeiter sich trauen, Kritik zu äußern. Wenn Angst und Misstrauen herrschen, kann der Manager nicht erwarten, dass er ernst gemeintes Feedback erhält. Im Zweifel hört er nur dass, was die Mitarbeiter glauben, was er hören möchte. Damit bekommt er noch nicht einmal die Chance, sich eingehend mit Kritik auseinander zu setzen – selbst wenn er es wollte.

Und so kommen wir zum eigentlichen Schlüsselfaktor, der für eine erfolgreiche Zusammenarbeit unersetzlich ist und der auch die oben genannten Punkte von Brigette Haycinth zusammenfasst: Vertrauen! Erst wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie ihrem Vorgesetzten vertrauen können, dann kann ich als Manager auch erwarten, dass sie offen sagen, was sie stört. Und so habe ich als Manager überhaupt eine Chance ein realistisches Bild von der Stimmungslage in meinem Team zu bekommen. Und man braucht ein solch realistisches Bild, um einschätzen zu können, wie zufrieden oder unzufrieden ein Mitarbeiter ist. Und nur wenn ich frühzeitig merke, dass einer meiner Mitarbeiter unzufrieden ist, habe ich die Chance Gegenmaßnahmen zu ergreifen, damit er nicht am Tag X mit einer Kündigung in der Hand vor meiner Tür steht. Das ist aber nur die eine Seite. Ein zufriedener Mitarbeiter, der sich wertgeschätzt fühlt, ist motivierter, leistet mehr und ist weniger krank. Und durch die offene Kultur bekomme ich auch ein verlässliches Feedback auch in Bezug auf Projektfortschritte oder gar meine eigene Leistung. Denn auch das wird in vielen Unternehmen unterschätzt: das 360-Grad-Feedback, in dem Mitarbeiter ihre Vorgesetzten beurteilen, ist ein wertvolles Werkzeug für den Manager sich stetig zu verbessern. Denn selbst ein erfahrener Vorgesetzter ist nicht unfehlbar und kann sich auch weiterentwickeln. Ich habe mich jedenfalls immer über das 360-Grad-Feedback gefreut, als ich als Teamleiter das Feedback meiner Mitarbeiter bekommen habe. Im günstigsten Fall war es die Bestätigung meiner Arbeit. In weniger günstigen Fällen hat es mir wertvolle Impulse gegeben, um zu sehen, wo ich mich noch verbessern kann. Denn am Ende dürfen selbst die Menschen in hohen verantwortungsvollen Positionen nicht vergessen: wir alle entwickeln uns stetig weiter.

Deswegen ist eine offene Feedback-Kultur nicht nur ein einfaches Instrument, um die Stimmungslage der Mitarbeiter realistisch ein zu schätzen, sondern auch eine Möglichkeit sich selber zu hinterfragen und sich zu verbessern. Und auch das resultiert in eine höheren Mitarbeiterzufriedenheit und damit in einer geringeren Mitarbeiterfluktuation. Und eine geringe Fluktuation lässt die Abteilung besser in Ruhe arbeiten und sich auf die eigentlich Aufgaben konzentrieren. Am Ende – wie man so schön sagt – eine Win-Win-Situation!

tl;dr: ein Unternehmen kann es sich in Zeiten des realen Fachkräftemangel einfach nicht leisten, wertvolle Mitarbeiter zu verlieren.

Disclaimer: auch wenn alle Formen in diesem Artikel ausschließlich maskulin waren, gelten sämtliche Formulierungen und Schlussfolgerungen ohne Ausnahmen auch für das weibliche Geschlecht.

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